Kapitel beendet? Der Populismus und die CSU - Gespräch Teil III

Ja, Henrik, ich teile nicht deine Auffassung, dass sich eine klare Demarkationslinie zwischen der AfD und den anderen Parteien im Deutschen Bundestag ziehen lässt. Du hast ja richtigerweise Verkehrsminister Scheuer als Beispiel herangezogen, der uns mit aller Deutlichkeit zeigt, dass die CSU Wissenschaft und Menschenverstand ignoriert, um die Autoindustrie und die damit verbundenen Arbeitsplätze vor allem auch in Bayern mit allen und auch illegitimen Mitteln zu schützen.

Titel: Auf den Hund kommen, auch scheuern genannt - moralisch absteigen oder in schlechte Verhältnisse geraten © Florian Kiel

Titel: Auf den Hund kommen, auch scheuern genannt - moralisch absteigen oder in schlechte Verhältnisse geraten © Florian Kiel

(Dabei ist das eine klientelistische Form von Industriepolitik, die eins ums andere Mal zum Nachteil der fokussierten Unternehmen ausgeschlagen ist: Die Strombranche oder die Musikindustrie geben Zeugnis - aber das führt uns vom eigentlichen Kernpunkt weg.)

Denn die Vorgehensweise der CSU war populistisch: Ein wichtiger Mandatsträger, Minister Scheuer, durfte über Wochen eine Politik vertreten, ohne dass nennenswerte Kräfte in der CSU versucht hätten Einhalt zu gebieten. Das setze ich mit populistischem Verhalten einer Partei gleich. Dass es zwischen der CSU und der AfD Unterschiede im Ausmaß populistischen Handelns gibt, bleibt unbenommen.

Meine Kernfrage aber lautete: Ist das Verhalten der anderen Parteien geeignet, der AfD Grenzen aufzuzeigen, um eine gesamtgesellschaftliche Rückentwicklung zu verhindern. Nein, so behaupte ich, denn die AfD ist in Umfragen weiter stabil, das gesellschaftliche Klima wird rauher, die Arbeit der Zivilgesellschaft schwieriger und Lösungen für aktuelle politische Probleme sind nicht in Sicht. Insoweit bleibe ich auch dabei, dass das Verhalten der anderen Parteien den Aufstieg der AfD weiter begünstigt. So könnten wir uns in eine Situation manövrieren, wo Koalitionen jenseits einer Regierungsbeteiligung der AfD schwierig werden können. Das droht uns ganz real in Sachsen. In dieser Hinsicht habe ich einen Vergleich mit Hitler angestellt, nicht etwa im konkreten Fall der Wahlen von 1931 bis 1933, sondern in der strategischen Unfähigkeit der Parteien auf die veränderte rechtspopulistische Herausforderung zu reagieren. Im Gegenteil die parteipolitischen Aussagen inkorporieren mehr und mehr politische Positionen der AfD, weshalb ich den Begriff der Demarkationslinie für nicht richtig halte.

Es gibt Gründe für das Heraufziehen der AfD. Diese sind sozial und kulturell verankert. Unter anderem sind es Globalisierungsängste, drohende soziale Abstiege oder der Verlust kultureller Identitäten. Natürlich gibt es für jeden dieser Gründe politische Antworten. Die können komplex oder einfach sein. Genauso komplex oder einfach wie diese Gründe politisch herbeigeführt wurden. Globalisierung etwa hat sich auch nicht über Nacht ergeben, sondern ist das Ergebnis vieler Klauseln in Handelsverträgen, die über Jahrzehnte ausverhandelt wurden. Nun braucht es eben ein paar Klauseln mehr, um unerwünschte Nebeneffekte der Globalisierung zu beseitigen. Das ist sicher nicht einfach, aber eben genauso möglich wie beispielsweise Globalisierung loszutreten. Eine politische Umkehr oder Korrektur von politischen Fehlern muss sichtbar und spürbar werden, um Menschen die Beweggründe für die Wahl der AfD zu nehmen. Ob diese Menschen wieder mehr zu einer politischen Mitte zurückfinden, hängt danach sicher auch mit den handelnden Personen und sonstigen Wahlfaktoren zusammen. Der Versuch mit Symbolik, Gefühligkeit, vagen Gesten oder kleinen Trippelschritten Boden gutzumachen, ist aber bei den tiefgreifenden Veränderungen der letzten Jahrzehnte sinnlos bis schädlich, weil die Menschen, die unter diesen Bedingungen leiden, sich weiterhin nicht verstanden fühlen werden.

Wenn beispielsweise der Einfluss internationaler Schiedsgerichte auf den Nationalstaat abgemildert wird, ist das doch kein Schritt in die richtige Richtung, sondern das Verhindern noch schlimmeren Übels entlang eines ungebrochenen Megatrends. Wenn die Mietpreisbremse ein zahnloser Tiger ist, brauchen wir die politische Debatte darüber nicht, sondern ernsthafte Politiker*innen, die sich über partikulare Interessen hinweg, einer großen sozialen Frage annehmen. Wenn das Bundeskabinett einen Kompromiss zu Waffenexporten nach Saudi-Arabien fasst, indem zwischen europäischen und deutschen Produktionsteilen unterschieden wird, um nun eben über Tochterfirmen deutscher Waffenhersteller im Ausland oder direkt über europäische Militärprojekte weiter Waffen ausführen zu können, dann ist das kein richtiger Schritt zur Lösung der Flüchtlingskrise. Im Gegenteil, das ist ein Interessenkonflikt, den CSU, CDU und SPD klar zugunsten von Menschen entscheiden, die an Kriegen verdienen. Wenn Anton Hofreiter, Fraktionsvorsitzender der Grünen, ernsthaft vorschlägt, bisherige Autos mit Elektroflitzern zu ersetzen, ohne Individualmobilität in Frage zu stellen, ist er Teil des Problems. Er weiß, dass der sprunghafte Anstieg der Nachfrage nach Batterierohstoffen lateinamerikanische, indigene Einwohner*innen in Bedrängnis bringt. Er weiß, dass die nötigen Ressourcen für neue Autos schlicht nicht mehr abgebaut werden dürfen, wenn wir die Klimaziele erreichen wollen.

Bin ich mit diesen Argumentationslinien nahe an Populisten wie Mélechon oder Lafontaine? Über Mélenchon weiß ich zu wenig, aber Lafontaine halte ich sehr zugute, dass er in den vergangenen Jahren als erster namhafter Politiker auf die verheerenden Auswirkungen deutscher und europäischer Wirtschaftspolitik hingewiesen hat. In meinen Augen ist das kein Populismus, sondern Pionierarbeit, um bestehende irrwitzige (ökonomische) Argumentationsmuster zu durchbrechen. Dass Lafontaine und seine Mitstreiter*innen sich in der Minderheit befinden, ist nur Ausdruck dessen wie stark die Beharrungskräfte in CSU, CDU, FDP, SPD und inzwischen in Teilen der Grünen sind.

Immerhin erklärt mir meine Sichtweise aktuelle Realitäten, während tagespolitische Vorschläge meines Erachtens zunehmend den Ernst der Lage in den Bereichen Gerechtigkeit, Wohlstand und Klima verkennen.

Ohne Lobby: Selbstständige in der Coronakrise

Kapitel beendet? Der Populismus und die CSU - Gespräch Teil II